Die Arten der Nacherfüllung

Ein Artikel in Kooperation mit Jura für alle

von Charlotte Freyer
(Law&Legal)


Leistet der Verkäufer eine mangelhafte Sache, steht dem Käufer ein Nacherfüllungsanspruch gegen den Verkäufer zu. Dabei hat der Käufer ein Wahlrecht zwischen der Beseitigung des Mangels an der geleisteten Sache oder der Lieferung einer mangelfreien Ersatzsache. Jedoch kann der Verkäufer die vom Käufer gewählte Art der Nacherfüllung verweigern, wenn sie im Vergleich zur anderen Art der Nacherfüllung unverhältnismäßig ist (relative Unverhältnismäßigkeit). In seltenen Fällen absoluter Unverhältnismäßigkeit kann der Verkäufer „totalverweigern“. Besonderheiten gelten für Verbrauchsgüterkäufe.


 

Wann entsteht ein Nacherfüllungsanspruch?

Fragen rund um die Art der Nacherfüllung stellen sich, wenn die vom Verkäufer in Erfüllung eines Kaufvertrages geleistete Sache entgegen § 433 Abs. 1 S. 2 BGB mangelhaft ist. Dann hat der Käufer gem. §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 BGB einen verschuldensunabhängigen Anspruch auf Nacherfüllung, der Vorrang vor anderen Gewährleistungsrechten hat. Denn auf der Kehrseite steht das Recht des Verkäufers, noch ein zweites Mal zu leisten („zweite Andienung“).

 

Mangelbeseitigung oder Nachlieferung?

Der Käufer kann wählen: entweder er verlangt vom Verkäufer die Beseitigung des Mangels an der geleisteten Sache (Nachbesserung) oder die Lieferung einer mangelfreien Ersatzsache (Nachlieferung). Will der Käufer die Wahl nicht treffen, kann er sie dem Verkäufer überlassen. Die zur Nacherfüllung erforderlichen Kosten sind dem Verkäuferzugewiesen (§ 439 Abs. 2 BGB). Referenzpunkt für die pflichtgemäße Nacherfüllung durch den Verkäufer ist der Primärleistungsanspruch aus § 433 Abs. 1 BGB.

 

1. Nachbesserung: Bei der Beseitigung des Mangels muss der Verkäufer eine Form der Nachbesserung wählen, die den Mangel vollständig behebt (z.B. Reparatur oder Austausch mangelhafter Teile). Wie er den Mangel beseitigt, kann der Verkäufer entscheiden, da er über mehr Sachnähe verfügt. Letztlich muss er die Sache in den vertragsgemäßen Zustand versetzen, den er von Anfang an geschuldet hat.

2. Nachlieferung: Bei der Nachlieferung muss der Verkäufer als Ersatz eine andere, gleichartige und funktionell wie vertragsgemäß gleichwertige Sache liefern.

Das ist zumindest bei sog. Gattungsschulden – also Kaufsachen, die sich durch gemeinsame äußere Merkmale definieren lassen – kein Problem, sofern es Sachen mit den gleichen Gattungsmerkmalen gibt (z.B. fabrikneue PKW eines bestimmten Typs).

Ob die Ersatzlieferung bei einer Stückschuld – hier steht die Individualität der Sache im Vordergrund, z.B. Kunstwerke – möglich ist, bestimmt sich nach den genannten Kriterien im Einzelfall (z.B. Frage, ob ein gebrauchter PKW mit Fahrgestellnummer X durch einen anderen gebrauchten PKW mit abweichender Laufleistung gleichwertig und damit ersetzbar ist).

 

Wann darf der Verkäufer im Rahmen des § 439 BGB die gewählte Art der Nacherfüllung oder sogar beide Arten der Nacherfüllung verweigern?

Der Verkäufer kann die vom Käufer gewählte Art der Nacherfüllung verweigern, wenn sie ihm nur mit unverhältnismäßig hohen Kosten möglich ist (§ 439 Abs. 4 BGB). Diese Unverhältnismäßigkeit kann in zwei Formen auftreten:Die vom Käufer gewählte Art der Nacherfüllung kann unverhältnismäßig im Vergleich mit der anderen Art der Nacherfüllung sein (sog. relative Unverhältnismäßigkeit). Hierbei werden insbesondere die für den Verkäufer anfallenden Kosten und das Interesse des Käufers an der gewählten Art der Nacherfüllung (z.B. kürzere Dauer des Nutzungsausfalls, immaterielles Interesse) in die Waagschale gelegt. Zu beachten ist, dass die teurere Art der Nacherfüllung nicht automatisch unverhältnismäßig ist – das liefe dem Wahlrecht des Käufer zuwider.

Die Nacherfüllung kann auch im Ganzen unverhältnismäßig gegenüber dem Gewicht des Mangels sein (sog. absolute Unverhältnismäßigkeit). Dabei stellt sich die Frage, ob der Verkäufer beide Arten der Nacherfüllung oder die einzig mögliche Art der Nacherfüllung verweigern kann. Ob eine solche Totalverweigerung möglich ist, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls. Als Anhaltspunkt kann die BGH-Rechtsprechung dienen, nach der bei nicht zu vertretenden Mängeln die absolute Unverhältnismäßigkeit als Faustregel jedenfalls dann vorliegt, wenn die Kosten der Nacherfüllung höher sind als 150% des Werts der Sache in mangelfreiem Zustand (100% bei Grundstücken) oder höher als 200% des mangelbedingten Minderwerts (BGH NJW 2009, 1660, 1661, Rn. 15; BGH NJW 2015, 468, 472, Rn. 41).

Es besteht eine Besonderheit bei Verbrauchsgüterkäufen: Die Totalverweigerung der einzig möglichen Nacherfüllungsart im Wege des § 439 Abs. 4 S. 1 BGB durch den Unternehmer ist gem. § 475 Abs. 4 S. 1 BGB ausgeschlossen. Ein Verbrauchsgüterkauf liegt immer dann vor, wenn ein Verbraucher als Käufer zu persönlichen, nicht gewerblichen Zwecken etwas von einem Unternehmer kauft.

 

Exkurs: Zum Vorliegen nur einer möglichen Nacherfüllungsart kann es kommen, indem die andere Alternative wegen Unmöglichkeit automatisch ausgeschlossen ist (§ 275 Abs. 1 BGB, z.B. ist die Nachlieferung unmöglich, weil eine Stückschuld vorliegt und es keine äquivalente Ersatzsache gibt). Zudem kann Unzumutbarkeit aus wirtschaftlichen oder persönlichen Gründen (§ 275 Abs. 2 oder Abs. 3 BGB) einer Nacherfüllung entgegenstehen, die praktische Bedeutung dieser Einreden neben § 475 Abs. 4 BGB ist jedoch als gering einzustufen (Westermann, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2019, § 439 Rn. 33 f.).

 

 

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