Überblick Aufenthalts- und Asylrecht.
Beitrag 2: Überblick über das Aufenthaltsrecht
Von Antonia Stummvoll unter Mitarbeit von Sarah Magalie Klein
Im letzten Beitrag haben wir uns den Gegenstand und die Rechtsquellen des Asyl- und Aufenthaltsrechts angesehen. Heute wollen wir thematisch einsteigen und uns fragen: welche Regelungen enthält das Aufenthaltsrecht darüber, ob jemand nach Deutschland kommen und dort bleiben darf?
Notwendigkeit eines Aufenthaltstitels
Das Aufenthaltsgesetz gilt gem. § 1 I, II AufenthG für alle ausländischen Staatsangehörigen, die nicht Staatsangehörige eines EU-Staates sind (und die auch keine Familienangehörige haben, die Staatsangehörige eines EU-Staates sind) [1], also im Wesentlichen für Drittstaatsangehörige (Ausnahmen wie etwa Sonderregelungen für Mitglieder diplomatischer Vertretungen und ähnliche Feinheiten werden hier und im Folgenden, um den Umfang nicht zu sprengen, ignoriert).
Nach § 4 AufenthG braucht jeder ausländische Staatsangehörige einen Aufenthaltstitel, um nach Deutschland zu reisen oder in Deutschland zu leben. Das entspricht dem völkerrechtlichen Prinzip, nachdem Staaten selbst entscheiden dürfen, wer unter welchen Umständen ihr Territorium betreten darf [2].
Als „Aufenthaltstitel“ bezeichnet man dabei sowohl die körperliche Urkunde, auf der das Aufenthaltsrecht steht, als auch den Status, also das Aufenthaltsrecht selbst. Der Status ist jedoch nicht von der Urkunde abhängig: verliert man aus Versehen die Urkunde mit seinem Aufenthaltstitel, fällt deswegen nicht etwa auch gleichzeitig das materielle Aufenthaltsrecht weg. [3]
[1] Eichenhofer in BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 39. Edition, Stand: 01.07.2023, § 1 AufenthG Rn. 22.
[2] Samel in Bergmann/Dienelt, 14. Auflage 2022, Ausländerrecht, § 4 Rn. 2.
[3] Maor in BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 39. Edition, Stand: 01.10.2023, § 4 AufenthG Rn. 5.
Allgemeine Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel
§ 5 AufenthG regelt die allgemeinen Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels. Sie gelten für alle Aufenthaltstitel, solange es nicht in den jeweiligen Vorschriften Sonderregeln gibt, die dann als spezielleres Recht vorgehen. [4]
Danach muss in der Regel der Lebensunterhalt des ausländischen Staatsangehörigen in Deutschland gesichert und seine Identität geklärt sein. Er muss die in § 3 AufenthG vorgeschriebene Passpflicht erfüllen, also grundsätzlich über einen gültigen Pass verfügen. Zudem darf kein Ausweisungsinteresse gegeben sein. Das wäre der Fall, wenn der ausländische Staatsangehörige sich einer der in § 54 AufenthG genannten Straftaten schuldig gemacht hat. [5]
Das ist zum Beispiel der Fall, wenn eine Person zu einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist, wenn sie die freiheitlich-demokratische Grundordnung gefährdet oder zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft.
[4] Beiderbeck in BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, Decker/Bader/Kothe, 17. Edition, Stand: 15.10.2023, § 5 AufenthG Rn. 1.
[5] Beiderbeck in BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, Decker/Bader/Kothe, 17. Edition, Stand: 15.10.2023, § 5 AufenthG Rn. 5.
Die einzelnen Aufenthaltstitel
§ 4 AufenthG zählt nun die unterschiedlichen Aufenthaltstitel auf, sodass man sich schnell einen Überblick verschaffen kann.
Für die Urlaubsreise - das Visum
Einen Aufenthaltstitel, den man vielleicht von Urlaubsreisen außerhalb der EU kennt, ist das Visum. Dieses beantragen ausländische Staatsangehörige grundsätzlich vor ihrer Einreise nach Deutschland im Ausland [6]. Das Visum ist ein befristeter Aufenthaltstitel [7].
Für einen Aufenthalt von in der Regel 90 Tagen gibt es das Schengen-Visum nach § 6 I AufenthG, für längerfristige Aufenthalte gibt es das nationale Visum nach § 6 III AufenthG [8].
Mit dem Schengen-Visum darf man sich im gesamten Schengen-Raum aufhalten [9], also zum Beispiel eine Reise von Spanien über Frankreich nach Deutschland machen. Gem. § 6 IIa AufenthG darf man mit einem Schengen-Visum nicht in Deutschland arbeiten.
Mit dem nationalen Visum darf man über längere Zeiträume bleiben, allerdings ist es auf das deutsche Staatsgebiet beschränkt [10]. Es wird meistens als Übergang zu einem anderen Aufenthaltstitel verwendet [11].
Nicht alle ausländischen Staatsangehörigen müssen aber für einen Kurzaufenthalt in Deutschland ein Visum beantragen: aufgrund internationaler Visumerleichterungsabkommen im Rahmen der europäischen Visumspolitik ist für einige Staaten die Visumspflicht bei der Einreise nach Deutschland ausgesetzt [12] (genauso wie Deutsche in viele Staaten ohne Visum reisen dürfen). So können beispielsweise britische, kanadische, US-amerikanische, israelische und Staatsangehörige vieler südamerikanischer Staaten einen Kurzaufenthalt in der EU antreten, ohne über ein Visum zu verfügen [13].
[6] Samel in Bergmann/Dienelt, 14. Auflage 2022, Ausländerrecht, § 4 Rn. 58.
[7] Samel in Bergmann/Dienelt, 14. Auflage 2022, Ausländerrecht, § 4 Rn. 56.
[8] Samel in Bergmann/Dienelt, 14. Auflage 2022, Ausländerrecht, § 4 Rn. 56.
[9] Beiderbeck in BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, Decker/Bader/Kothe, 17. Edition, Stand: 15.10.2023, § 6 AufenthG Rn. 3.
[10] Beiderbeck in BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, Decker/Bader/Kothe, 17. Edition, Stand: 15.10.2023, § 6 AufenthG Rn. 11.
[11] Kolber in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Auflage 2022, § 6 Rn. 59.
[12] BMI Bund aufgerufen am 07.03.2024.
[13] Auswärtiges Amt, aufgerufen am 07.03.2024.
Fuß fassen in Deutschland - die Aufenthaltserlaubnis
Für Menschen, die längerfristig in Deutschland bleiben und sich zu einem bestimmten Zweck hier aufhalten wollen, etwa, um zu arbeiten, gibt es die Aufenthaltserlaubnis. Sie kann auf Jahre erteilt werden, ist aber gem. § 7 I 1 AufenthG stets ein befristeter Aufenthaltstitel.
Es gibt über 40 verschiedene Aufenthaltszwecke, zu deren Verwirklichung eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird [14]. Je nach Aufenthaltszweck ist die Aufenthaltserlaubnis unterschiedlich ausgestaltet; so hängt etwa die Dauer des Aufenthalts von dem Zweck ab, genauso wie die Frage, ob ihr Inhaber etwa zum Familiennachzug berechtigt ist oder Sozialleistungen beantragen kann [15].
Eine Übersicht mit allen Aufenthaltszwecken des Aufenthaltsgesetzes findet sich in Nr. 7.1.1.1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz (AufenthGAVwV) [16]. So regeln etwa die §§ 16 ff AufenthG die Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Studiums, Schul- oder Sprachkursbesuchs oder der Berufsausbildung.
§ 18d AufenthG regelt den Aufenthaltszweck der Forschung, nach dem sich zum Beispiel der Aufenthaltstitel der marokkanischen Doktorandin richten kann, die sich an der Uni Bayreuth promovieren lässt und währenddessen als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig ist.
Die §§ 18 ff AufenthG enthalten, um dem Fachkräftemangel in Deutschland entgegenzuwirken, Regelungen, die ausländischen Fachkräften das Arbeiten in Deutschland erleichtern sollen. Eine Fachkraft ist dabei nach § 18 III AufenthG eine Person, die eine deutsche oder eine mit einer deutschen vergleichbare Berufsausbildung hat („Fachkraft mit Berufsausbildung“) oder einen solchen Hochschulabschluss besitzt („Fachkraft mit akademischer Ausbildung“). Um eine Aufenthaltserlaubnis zu bekommen, müssen solche Fachkräfte die allgemeinen Voraussetzungen des § 18 AufenthG erfüllen, insbesondere muss ihnen nach § 18 II Nr. 1 AufenthG ein konkretes Arbeitsplatzangebot vorliegen und die Tätigkeit muss nach § 18a AufenthG und § 18b AufenthG ihrer Qualifikation entsprechen.
Weitere Aufenthaltszwecke sind die in den §§ 27 ff AufenthG geregelten familiären Gründe. Hierzu zählt etwa der Familiennachzug. Demnach können unter bestimmten Voraussetzungen sowohl Deutsche (§ 28 AufenthG) als auch in Deutschland lebende ausländische Staatsangehörige (§ 29 AufenthG) ihre ausländischen Ehegatten und minderjährigen Kinder nach Deutschland holen.
Die §§ 22 ff AufenthG regeln, dass aus humanitären oder politischen Gründen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden kann. Dies ist jedoch nur ein Ausnahmetatbestand, den die Behörde in Härtefällen anwenden kann [17].
Grundsätzlich richtet sich das Aufenthaltsrecht von Geflüchteten, die einen Asylantrag gestellt haben, nämlich nach § 55 Asylgesetz, nach denen ihnen für die Dauer des Asylverfahrens der Aufenthalt gestattet ist, die sog. Aufenthaltsgestattung. Diese Aufenthaltsgestattung verdrängt dann andere Aufenthaltsrechte, etwa eine zum Familiennachzug gewährte Aufenthaltserlaubnis [18].
Durch den russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 ist allerdings § 24 AufenthG relevant geworden. Hierfür braucht es einen Ratsbeschluss der EU nach der europäischen Massenzustrom-Richtlinie, in dem festgelegt wird, dass eine bestimmte Personengruppe vorübergehenden Schutz in den Mitgliedsstaaten erfährt. Von dieser Möglichkeit machte die EU im März 2022 erstmals Gebrauch [19]. Somit bekommen jetzt Menschen, die aus der Ukraine vor den Kriegshandlungen fliehen, in Deutschland sofort eine Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG, ohne erst ein Asylverfahren durchlaufen zu müssen [20].
[14] Dienelt in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Auflage 2022, § 7 AufenthG Rn. 7.
[15] Dienelt in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Auflage 2022, § 7 AufenthG Rn. 5.
[16] Beiderbeck in BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, Decker/Bader/Kothe, 17. Edition, Stand: 15.10.2023, § 7 AufenthG Rn. 3.1.
[17] Zimmerer in BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, Decker/Bader/Kothe, 17. Edition, Stand: 15.10.2023, § 22 AufenthG Rn. 1.
[18] Röder in BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, Decker/Bader/Kothe, 17. Edition, Stand: 15.10.2023, § 55 AsylG Rn. 26.
[19] Zimmerer in BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, Decker/Bader/Kothe, 17. Edition, Stand: 15.10.2023, § 24 AufenthG Rn. 1.
[20] Zimmerer in BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, Decker/Bader/Kothe, 17. Edition, Stand: 15.10.2023, § 24 AufenthG Rn. 1.1.
Angekommen - die Niederlassungserlaubnis
Sozusagen das Nonplusultra der Aufenthaltstitel für ausländische Staatsangehörige ist die Niederlassungserlaubnis. Sie ist nach § 9 I AufenthG ein unbefristeter Aufenthaltstitel.
Außerdem wird sie ohne Bindung an einen bestimmten Zweck erteilt und berechtigt stets zu Erwerbstätigkeiten jeder Art [21].
§ 9 AufenthG regelt die allgemeinen Voraussetzungen für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis. Unter anderem muss der ausländische Staatsangehörige für die Beantragung einer Niederlassungserlaubnis nach § 9 II Nr. 1 AufenthG bereits seit fünf Jahren eine Aufenthaltserlaubnis für Deutschland besitzen. Diese Voraussetzung erfüllt zum Beispiel ein Brasilianer, der jeweils mit der entsprechenden Aufenthaltserlaubnis zunächst in Deutschland zwei Jahre studiert und dann drei Jahre gearbeitet hat, genauso wie die Australierin, die seit fünf Jahren mit entsprechender Erlaubnis in Deutschland arbeitet. Nach § 9 II AufenthG ist eine weitere Voraussetzung für die Niederlassungserlaubnis ein gesicherter Lebensunterhalt; außerdem muss man über ausreichend Wohnraum für sich und seine Familie verfügen. Wichtig ist auch § 9 II Nr. 7 AufenthG, wonach die Person über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügen muss. Nach § 2 XI AufenthG sind damit Deutschkenntnisse auf dem Niveau B1 gemeint, die also durch Kurse mit entsprechenden Prüfungen nachgewiesen werden müssen.
Die standardmäßige Fünf-Jahres-Frist wird durch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz modifiziert: ab 01. März 2024 gilt § 18c AufenthG in der neuen Fassung. Demnach reicht es bei einem Aufenthaltstitel nach den §§ 18 a ff AufenthG, also wenn man Fachkraft ist, aus, drei Jahre lang eine Aufenthaltstitel besessen zu haben.
Weitere Aufenthaltstitel
Neben Visum, Aufenthaltserlaubnis und Niederlassungserlaubnis kennt das AufenthG noch weitere Aufenthaltstitel [22]:
Die in § 18g AufenthG geregelte „Blaue Karte EU“ (der Name ist angelehnt an die US-amerikanische green card) ist ein der Aufenthaltserlaubnis vergleichbarer Aufenthaltstitel. Sie ist auf maximal vier Jahre befristet [23].
Sie basiert allerdings auf Unionsrecht und berechtigt einen Drittstaatsangehörigen zu einer Erwerbstätigkeit in allen teilnehmenden EU-Mitgliedsstaaten. Damit wird sie als ein „Schritt in Richtung europäischer Aufenthaltstitel“ bezeichnet. Außerdem kann sie den Übergang zu einer Niederlassungserlaubnis, also einem permanenten Aufenthaltsrecht, sein [24].
Ebenfalls unionsrechtlich begründet sind die Aufenthaltstitel „ICT-Karte“ (§ 19 AufenthG) [25] und „Mobiler-ICT-Karte“ (§ 19b AufenthG). ICT steht für „intra-corporate transferees“ [26], und gilt also für Führungskräfte, Spezialisten oder Trainees, die unternehmensintern versetzt werden. Die ICT-Karte wird einem Ausländer erteilt, der sich noch außerhalb der EU befindet, während die Mobiler-ICT-Karte für Drittstaatsangehörige bestimmt ist, die bereits in die EU eingereist sind [27].
Ein weiterer Aufenthaltstitel ist die „Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU“ gem. § 9a AufenthG. Wie der Name schon andeutet, ist diese Erlaubnis unbefristet und beruht ebenfalls auf EU-Recht, das mit § 9a AufenthG ins nationale Recht umgesetzt wurde [28]. Sie ist gem. § 9a I AufenthG der Niederlassungserlaubnis gleichgestellt. Die Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU kann parallel zur Niederlassungserlaubnis erteilt werden [29]. Sie verfügt allerdings über einen besseren Ausweisungsschutz als die Niederlassungserlaubnis [30] und ermöglicht Drittstaatsangehörigen, nicht nur in einem EU-Staat zu bleiben, sondern in andere Mitgliedsstaaten weiterzuwandern [31].
Nach diesem Überblick über das Aufenthaltsrecht widmen wir uns im nächsten Beitrag dem Asylrecht.
[22] J. Nusser in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Auflage 2022, § 18 AufenthG Rn. 17.
[23] J. Nusser in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Auflage 2022, § 18 AufenthG Rn. 14.
[24] J. Nusser in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Auflage 2022, § 18 AufenthG Rn. 14.
[25] Dienelt in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Auflage 2022, § 19 AufenthG Rn. 1.
[26] Dienelt in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Auflage 2022, § 19 AufenthG Rn. 7.
[27] Dienelt in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Auflage 2022, § 19b AufenthG Rn. 7.
[28] Dollinger in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Auflage 2022, § 9a AufenthG Rn. 1.
[29] Dollinger in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Auflage 2022, § 9a AufenthG Rn. 26.
[30] Dollinger in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Auflage 2022, § 9a AufenthG Rn. 26.
[31] Dollinger in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Auflage 2022, § 9a AufenthG Rn. 1 und 26.